Die (über)Zeugen(den) Jehovas

von bashsalon

Ich liebe unerwarteten Besuch nach Feierabend vor meiner Haustüre und manchmal hat man das Gefühl, als hätten sich Vorwerk, GEZ, rumänische Teppichverkäuferinnen und die Zeugen Jehovas geradezu abgesprochen, eine Art Flashmob vor meiner Türe zu veranstalten. Schon gespannt darauf, wer morgen vor meiner Türe steht, hatte ich gestern bereits Besuch von einem netten „Pärchen“, die mit mir über Gott sprechen wollten. Da ich bereits vor vielen Jahren Glauben gegen Wissen eingetauscht habe, gibt’s bei mir natürlich viel zu missionieren. Die Frage: „Haben Sie Interesse an einem Gespräch über Gott?“, von der nicht mehr ganz jungen, aber dafür sehr unattraktiven Renate Sommer mit dem behaarten Leberfleck auf der rechten Wange, war für mich auch ein gefundenes Fressen. Gemeinsam mit ihrem Glaubens-AZUBI Lars Fromm stand sie gestern im schwarzen Hosenanzug vor meiner Türe. Auch ohne die erste Frage, war sofort klar: hier geht es nicht um den neuen „Kobold 140 Handstaubsauger mit wartungsfreiem Reluktanzmotor und einstufigem Radialgebläse aus hochwertigem, recyclebarem, thermogeformtem Kunststoff nach DIN IEC 60 312“, sondern um den Typen, der für die Fusel auf Teppichen überhaupt erst verantwortlich ist, weil er nämlich für alles verantwortlich ist, was auf dieser Welt passiert: es ging um GOTT.

Lars, vielleicht gerade Anfang 20 und übersät mit postpubertären Pickeln im Gesicht lächelte mich aus seinem grauen Anzug heraus so dämlich an, dass ich echte Lust verspürte, die beiden herein zu bitten, um zu sehen, ob sie argumentativ ebenso von Gott begnadet waren, wie sie optisch bereits vermuten ließen. Im Wohnzimmer angekommen, fiel zunächst Aragon, meine Deutsche Dogge über die beiden her – freudig, denn Aragon tut niemandem etwas, außer das er seine Begrüßungsopfer innerhalb von Sekunden von oben bis unten mit seinem stetig sabbernden Maul einspeichelt. Deutsche Doggen sind für ihr Speichelproblem bekannt und ich habe zudem noch eine besonders große Dogge erwischt, die der etwas klein gewachsenen Renate problemlos in die Augen sehen konnte, ohne zu springen. Renate sah also binnen Sekunden im Gesicht aus, wie eine tschechische Pornodarstellerin auf einer Massen-Bukkake, als sie sich gemeinsam mit Lars auf mein Sofa setzte. Es fiel mir schwer, bei diesem Anblick den Satz „Der tut nichts schlimmes!“, einigermaßen ernsthaft herauszubringen. So zugekleistert hatte selbst Renate einen Hauch von Erotik und ich überlegte, ob ich ihr ein Tuch anbieten oder mich einfach in diesem Zustand mit ihr über Gott unterhalten sollte. In einem Anflug von Mitleid gab ich ihr dann ein Stück Küchenrolle und verwies Aragon auf seinen Hundeplatz. Etwas verängstigt sagte Lars: „Der hört aber gut.“ „Ja, aufs Wort“, entgegnete ich. „Zwar meist erst auf das dritte oder vierte, aber immerhin.“

Renate wischte sich das Gesicht wieder sauber und somit den Hauch von Erotik wieder weg, während ich schon mal versuchte, das Gespräch etwas anzukurbeln: „Sie sind also die Gemeindepastoren? Ich hoffe, Sie sind nicht allzu böse, dass ich Sie noch nie auf der Arbeit besucht habe.“ Renate korrigierte forsch durch das aufgefaltete Küchentuch: „Nein, wir sind die Zeugen Jehovas, die Soldaten des Himmels!“ Mit einem Lächeln sagte ich: „Boar, da haben Sie aber einen weiten Weg zur Kaserne.“ Während mich beide doof anguckten, ahnte ich schon, dass das hier kein lockeres, lustiges Gespräch werden würde. Darum schob ich gleich nach: „Wieso denn eigentlich Soldaten? Ist irgendwo Krieg?“ Lars Fromm und Renate Sommer schauten noch immer dumm aus der Wäsche, sagten aber nichts. Weil ich die gedrückte Stimmung etwas heben wollte und um den beiden Soldaten klar zu machen, dass ich nicht der Feind bin, fragte ich: „Möchten Sie vielleicht einen Tee?“ Beide nickten und Renate sagte: „Das ist sehr freundlich.“, während sie weiterhin verzweifelt versucht, etwa zwei Liter Hundesabber mit einem einzigen Stück Küchenrolle von ihrem Gesicht und ihrem chicen schwarzen Hosenanzug zu wischen. Lars hatte sich zwischenzeitlich mit seinem völlig durchtränkten grauen Zwirn abgefunden und Aragons schwarze Haare machten sich zusätzlich hervorragend auf dem billigen Stoff. Nach diesem Besuch bei mir, hatten die beiden für Heute definitiv Feierabend, so viel stand schon fest beim Anblick ihrer Anziehsachen.

Beide zuckten zusammen, als Aragon von seinem Hundeplatz aufstand, um mir in die Küche zu folgen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie sich beide interessiert in meiner Wohnung umschauten, während im Hintergrund noch das letzte Stück des Mercyful Fate-Albums „Dead Again“ lief. Ich sah, wie die beiden miteinander tuschelten, als sie „Das Böse Buch“ von Magnus Myst und „Das Lexikon des Dunklen“ von Wolfgang Bauer in meinem gut sortierten Bücherregal entdeckten. Sicher war ihnen beim Reingehen auch das Bild von dem Gargoyle mit dem Pentagram im Flur aufgefallen. Ich lächelte, als ich mit einem Tablett voller Tee wieder zurück ins Wohnzimmer kam. Renate und Lars schauten noch immer um sich und bedankten sich dann artig für den Tee, als ich servierte. Ich schickte Aragon wieder auf seine Hundedecke, setzte mich zu den beiden Himmelssoldaten und war nun bereit für die wichtigen Neuigkeiten über Gott, die mich bekehren sollten. „Glauben Sie an Gott?“, stieg Renate gleich ein. Ich lehnte mich zurück und fragte: „Sieht es hier so aus, als ob ich das täte?“ „Nun ja“, sagte Renate, während ihr Glaubens-AZUBI wieder anfing senil zu lächeln, „ich denke nicht, wenn sie hier Teufelssymbole in Ihrem Flur aufhängen.“ Ich lachte. „Teufelssymbole? Sie scheinen sich ja richtig gut auszukennen, liebe Frau Sommer. Ein Pentagram, welches mit der Spitze nach unten zeigt, ist ein Symbol des Bösen, ebenso wie ein umgedrehtes Kreuz. Da haben Sie Recht. Mein Pentagram allerdings zeigt mit der Spitze nach oben und ist ein Zeichen des Guten, des Lebens, der Magie und des Schutzes und es ist ein wesentlich älteres Symbol, als zum Beispiel Ihr christliches Kreuz. Mein Pentagram im Flur schützt mein Haus vor schlechten Einflüssen. Vielleicht sogar vor Ihnen beiden!“

Renate war sichtlich sprachlos darüber, dass sie das offenbar noch nicht wusste. Lars versuchte sie zu retten und sagte: „Nur Jesus kann die Menschen beschützen! Er ist für unsere Sünden gestorben.“ Verdutzt guckte ich Lars an: „Woher weiß Jehoshua Ben Joseph denn von meinen Sünden?“ „Weeer?“, fragt Renate. „Na, Jehoshua Ben Joseph von Nazareth. Sagen Sie bloß, als Zeugen Jehovas kennen sie Jesus bürgerlichen Namen nicht? Jesus wurde er doch erst viel später genannt. Wer hat Sie denn ausgebildet?“ Beide gucken mich blöd an. Bildung hat eben doch manchmal Vorteile. „Aber mal angenommen“, fahre ich fort, „es habe die christliche Mythengestalt tatsächlich gegeben, woher soll er vor knapp 2010 Jahren gewusst haben, welche Sünden ich begehen werde? Von denen, die noch vor mir liegen, weiß ja selbst ich noch nichts.“

Schnell schoss Lars wieder einen seiner auswendig gelernten Argumentationen für Nichtdenker in den Raum: „Jesus ist allwissend!“ Renate, mittlerweile wohl wissend, dass mich derartige Schlagsätze für ungebildete Schnellgläubige nicht beeindruckten, versuchte noch nachzulegen: „Gott ist allwissend und durch ihn, sein Sohn Jesus Christus auch.“ Ich ging zum CD-Player und startete „Dead Again“ von vorne, bevor ich erneut den Oberlehrer für schlecht informierte Himmelssoldaten spielte: „Allwissenheit für die Zukunft wurde nachweislich schon von namhaften Physikern ad absurdum geführt. Nehmen Sie nur mal Schrödingers mathematisch beweisbare Theorie von den Varianzen des Zeitstrahls, welche, bedingt durch die Chaostheorie, zu einer unendlichen Vielfalt möglicher Zukünfte führen und das Kontinuum in endlose unterschiedliche Varianten aufspalten. Das macht jede exakte Zukunftsvorhersage absolut unmöglich, da sich nicht berechnen lässt, welche der unendlichen möglichen Parallelen des Multiversums der Zeitstrahl kreuzen wird.“

Beide schauten mich an, als wäre ich der einzige Angezogene auf einer Nudistenparty. Zeit also fürs Finale, denn offenbar werde ICH bei diesem Gespräch über Gott leider nicht viel lernen können. Normalerweise teile ich mein Wissen gerne, aber lieber mit Menschen, die auch verstehen, was ich sage. Außerdem erwartete ich jeden Moment meine Freundin und die findet es ohnehin nicht gut, wenn ich ständig mit irgendwelchen Staubsaugervertretern, Missionaren, Teppichhändlerinnen und anderen Klingelterroristen aus Langeweile in unserer Wohnung abhänge und philosophiere. Um die Bude also wieder Soldatenrein zu bekommen, ohne Aragon rufen zu müssen, sagte ich: „Tja, so was lernt man nicht bei Ihrem Kegelverein, oder?“ Renate empört: „Den ‚Kegelverein verbitten wir uns! Wir sind…“ „Ja ja, ich weiß…. Soldaten des Himmels. Aber wie nennen Sie das denn, was Sie machen? Sie schmeißen wahllos die Kugeln Ihrer schlecht recherchierten Propaganda ins Volk und schauen dann, ob nicht ein paar Leute umfallen. Also für mich ist das Kegeln.“

Am Ende mit ihrem Latein, stand Renate auf, zog an Lars herum und sagte wutentbrannt: „Ich sehe schon, hier können wir nichts mehr retten.“ Zustimmend sagte ich: „Gut erkannt. Ich will auch gar nicht gerettet werden.“ Lars verschüchtert: „Danke für den Tee.“ „Gern geschehen“, sagte ich, „auch für den Nachhilfeunterricht.“ Renate zischte auf dem Weg zur Türe vor mir: „“Jesus wird Sie nicht retten, sondern Ihre Seele verdammen.“ Aragon tapste hinter uns her. „Darauf habe ich gewartet. Sie wollen mir also drohen? Also gut, dann gebe ich Ihnen zum Schluss auch noch einen Satansfluch mit, der Sie für immer belehren wird, sich nicht mit dem Teufel persönlich anzulegen.“ Renate riss die Türe auf und beide liefen schnell aus meiner Wohnung und dabei meine Nachbarin um, die gerade zufällig mit zwei Einkaufstüten vor meiner Türe stand und mobil telefonierte, während ich meine eh schon tiefe Stimme senkte und in allerbester „Sepultura“-Manier hinter den beiden hinterher rief: „Ich verfluche Sie Beide! Für den Rest des Tages sollen Sie schrecklichen Durchfall erleiden! Im Namen des Sataaaaaaaaaans“ Lars hörte ich noch sagen: „So ein Unsinn!“, bevor sie um die Ecke verschwanden.

Ich half meiner Nachbarin auf die Beine und sammelte die Lebensmittel vor der Haustüre ein, die aus den beiden, von Renates Aufprall, zerrissenen Tüten heraus gefallen waren. Meine Nachbarin schüttelte nur sprachlos mit dem Kopf. Sie kennt mich halt. Als Entschuldigung, lud ich sie noch auf eine Tasse Kaffee ein. Ich schloss hinter uns beiden die Türe, fing lauthals an zu lachen und sagte: Ich glaube nicht, dass die beiden Himmelskrieger nochmal wiederkommen.“, während meine Nachbarin wortlos die Informationen auf der fast leeren Packung Abführmittel las, die noch auf dem Küchentisch lag und vorsichtshalber gründlich die Tassen ausspülte, bevor ich uns beiden einen Kaffee eingoss.